Für Muskelspiele unentbehrlich – molekularer Kraftsensor steuert Muskelaufbau

Den Olympioniken in Peking dürfte während der Wettkämpfe eine andere Frage durch den Kopf gegangen sein als die nach der molekularen Funktion und Regulation ihrer Muskeln. Weit mehr dürfte die Sportler beschäftigt haben, ob Training und Muskelaufbau optimal waren. Doch wie misst der Muskel die mechanische Belastung während des Trainings und “merkt”, dass er mehr leisten muss?

Diesen Mechanismus hat nun ein interdisziplinäres Forscherteam von der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Zusammenarbeit mit dem King’s College London (England) entschlüsselt. Wie die Wissenschaftler herausfanden, wirkt ein Protein im Muskel als Kraftsensor. Wird dieser bei Muskelspannung aktiviert, löst er die Herstellung neuer Muskelbausteine im Zellkern aus. (PNAS, 2. September 2008) Die wenigsten Menschen machen auf Anhieb eine Reihe von Klimmzügen. Doch mit entsprechendem Training kann sich praktisch jeder von uns nach oben ziehen. Mit der Anstrengung wachsen unsere Muskeln und verleihen uns die nötige Kraft – bei Nichtstun dagegen verlieren wir sehr schnell an Muskelmasse. Aber woher weiß der Muskel, dass er wachsen oder schrumpfen muss? Dieser Frage ist nun ein internationales Wissenschaftlerteam nachgegangen. Die Forscher vermuteten schon seit langem, dass es im Muskel eine Art Kraftsensor geben muss, der die Belastung misst und weitermeldet. Ein Muskelprotein schien den Wissenschaftlern für diese Aufgabe besonders geeignet zu sein: das Titin – ein wahrer Gigant im Reich der Proteine. Zusammen mit zwei weiteren Muskelproteinen, Aktin und Myosin, ist es Hauptbestandteil der Sarkomere, den kleinsten krafterzeugenden Einheiten unserer Herz- und Skelettmuskel. Während Aktin und Myosin den Muskel bewegen, durch-spannt das Titin das Sarkomer, hält es wie eine Expanderfeder zusammen und sorgt für die nötige Elastizität der Muskulatur. Durch Kombination so verschiedener Methoden wie Rasterkraftmikroskopie, computergestützten Großsimulationen und Enzymbiochemie konnten die Forscher erstmals direkt zeigen, dass in der Tat eine besondere Stelle im riesigen Titinprotein als mechanischer Sensor wirken kann.

Protein auf der Streckbank
Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf ein besonderes Kettenglied innerhalb des Titins, die sogenannte Titinkinase, welche ein katalytisches Zentrum in sich birgt. Wenn es aktiv ist, spaltet es von einem kleinen ATP-Molekül einen Phosphatrest ab, heftet diesen als Marker an ein weiteres Protein und löst so eine biochemische Signalkette aus: ein idealer Sensor. Doch wie wird der Sensor aktiviert, was hält ihn blockiert? Um dies herauszufinden, untersuchte Elias Puchner am Lehrstuhl von Prof. Hermann Gaub an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität die Titinkinase mit einem selbstkonstruierten Rasterkraftmikroskop genauer. Um Veränderungen der Titinkinase bei Dehnung zu messen, spannte Puchner das Protein mit der extrem dünnen Spitze des Rasterkraftmikroskops gewissermaßen in eine Streckbank ein. Dabei dehnte der Forscher das Protein auf die gleiche Art und Weise, wie es auch im Muskel gespannt wird. Selbst kleinste Veränderungen in der Titinkinase sind während der Streckung mit dieser Methode nachweisbar. “Am echten Protein konnten wir so die für die Molekülstreckung nötige Kraft messen. Dabei konnten wir direkt nachweisen: Nur in diesem gestreckten Zustand bindet das ATP-Molekül an die Titinkinase”, erklärt Puchner.

Titinkinase als Kraftmesser in Aktion
Um zu sehen, was mit dem Protein unter mechanischem Stress – also bei kräftiger Muskeldehnung – genau geschieht, stellten die Wissenschaftler um Prof. Helmut Grubmüller am MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen das Experiment am Computer nach. Helmut Grubmüller zeigt am Bildschirm, wie bei der Computersimulation die Bewegungen der Titinkinase Atom für Atom sichtbar werden. Zieht der Göttinger Biophysiker nun mit der virtuellen Spitze eines Rasterkraftmikroskops am Protein, lässt sich die Proteinbewegung mitverfolgen. Dabei klappt ein Teil des Proteins auf, der zuvor das aktive Zentrum wie ein Stöpsel verschlossen hielt. Das nun freiliegende aktive Zentrum kann ATP zerlegen und die Signalkette auslösen. Im Ruhezustand blockiert die Titinkinase sich mit dieser Klappe selbst; die ATP-Bindung wird so verhindert.

Herstellung neuer Muskelbausteine ankurbeln
Wie die ab einer gewissen Muskelspannung von der Titinkinase ausgelöste Signalkette genau funktioniert, untersucht die Gruppe um Prof. Mathias Gautel vom King’s College London. Die Mediziner konnten erfolgreich Proteine identifizieren, die letztlich im Zellkern die Herstellung weiterer Muskelproteine – und damit neuer Muskelbausteine für die Reparatur und das Wachstum des Muskels – anregen und den Abbau von Muskelproteinen kontrollieren.
Damit passen die Ergebnisse der drei Gruppen schlüssig zusammen; sie ermöglichen erstmals Einblicke in die Wirkungsweise eines molekularen mechanischen Sensors. Finanziert wurde das Projekt unter anderem vom Exzellenzcluster “Center for Integrated Protein Science Munich” und den “Medical Research Council” (Großbritannien).
Fehlfunktionen der Titinkinase spielen bei einigen genetischen Muskelkrankheiten wie der Edstrøm-Krankheit eine entscheidende Rolle. Vermutlich können hierdurch die Muskeln nicht mehr ausreichend regeneriert werden – mit fatalen Folgen für die Betroffenen, denn die besonders stark beanspruchte Atemmuskulatur versagt zuerst. Ein besseres Verständnis für die molekularen Zusammenhänge bei Muskelwachstum und Regeneration könnte daher für die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung bestimmter Muskelkrankheiten von entscheidender Bedeutung sein. Und auch Fitnessbewusste bis hin zu Hochleistungssportler könnten in ihrem Training von den neuen Erkenntnissen der Forscher profitieren.

Kontakt:
Prof. Dr. Hermann Gaub
Ludwig-Maximilians-Universität München und Center for Integrated Protein Science Munich
Tel.: +49 89 2180 -3172
Fax: +49 89 2180 -2050
E-Mail: gaub@physik.uni-muenchen.de